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Zur Erforderlichkeit einer Übersetzung von Schriftstücken bei Zustellungen in der Europäischen Union

21. Sep 2018 News

Wenn ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück in einer Zivil- oder Handelssache aus einem EU-Mitgliedstaat zum Zwecke der Zustellung in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu übermitteln ist, findet die EU-Zustellungsverordnung („Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates“) Anwendung. In der EU-Zustellungsverordnung ist geregelt, ob und in welche Sprache ein solches Schriftstück übersetzt werden muss.

Systematik und Hinweise für die Praxis 

Die Entscheidung, ob eine Übersetzung eines zuzustellenden Schriftstücks anzufertigen ist, bleibt nach der EU-Zustellungsverordnung demjenigen überlassen, der das Schriftstück zustellen lassen möchte.

Allerdings darf der Empfänger des Schriftstücks die Annahme bei der Zustellung verweigern oder das Schriftstück binnen einer Woche zurücksenden, wenn das Schriftstück nicht in einer der folgenden Sprachen abgefasst oder keine Übersetzung in einer der folgenden Sprachen beigefügt ist:

a) einer Sprache, die der Empfänger versteht, oder

b) einer Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats.

Es bieten sich also zwei Möglichkeiten an:

  1. Möchte man von Anfang an auf Nummer Sicher gehen, sollte man ein zuzustellendes Schriftstück in eine Amtssprache des Empfangsmitgliedstaates übersetzen lassen. Je nach Mitgliedstaat können dies mehrere Sprachen sein, manchmal auch nur in bestimmten Teilen des Mitgliedstaats. Die Wahl dieser Möglichkeit ist mit den Kosten für die Übersetzung verbunden.
  2. Möchte man versuchen, diese Kosten zu sparen, kann man das Schriftstück in einer Sprache zustellen lassen, von der man meint, dass der Empfänger sie versteht. Wenn der Empfänger dann die Annahme verweigert, kann man die Übersetzung immer noch nachreichen.

Ein Risiko, dass bei der zweiten Möglichkeit im Falle einer wirksamen Annahmeverweigerung durch den Empfänger eine Frist versäumt wird, besteht nicht: Nach Artikel 8 Absatz 3 der EU-Zustellungsverordnung gilt das Schriftstück zwar in der Regel als erst mit der zweiten Zustellung (also mit der Übersetzung) als zugestellt. Wenn aber nach dem Recht eines Mitgliedstaats ein Schriftstück innerhalb einer bestimmten Frist zugestellt werden muss, ist im Verhältnis zum Antragsteller die erste Zustellung (also ohne die Übersetzung) maßgeblich. 

Rechtsprechung 

Die EU-Zustellungsverordnung regelt nicht, wer insbesondere bei juristischen Personen als „Empfänger“ gilt und ebenso wenig, ab wann ein Empfänger eine bestimmte Sprache „versteht“. Diese beiden Erfordernisse wurden durch die Rechtsprechung konkretisiert – insbesondere durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH (3. Kammer), 8. 5. 2008 – C-14/07 Ingenieurbüro M. Weiss und Partner GbR/IHK Berlin, NJW 2008, 1721 in Folge einer Vorlage durch den BGH, 21. 12. 2006 – VII ZR 164/05, EuZW 2007, 187).

Hierzu einige wesentliche Punkte:

a) „Empfänger“

Hierzu haben die Gerichte nicht einheitlich entschieden!

  • Ansicht 1: Es ist auf die Sprachkenntnisse der für den konkreten Sachverhalt zuständigen Person abzustellen. Regelmäßig ist dies die Rechtsabteilung (soweit vorhanden) und es ist unerheblich, wenn der für den deutschen Markt zuständige Verkaufsleiter der deutschen Sprache sehr gut mächtig ist. (LG Frankfurt a. M., 3. 4. 2014 – 2-03 O 95/13, BeckRS 2014, 16716)
  • Ansicht 2: Bei einem arbeitsteilig organisierten Geschäftsbetrieb darf hinsichtlich der Beurteilung der erforderlichen Sprachkenntnisse nicht auf die Person, welche die Zustellung unmittelbar entgegennimmt, abgestellt werden. Vielmehr ist zu prüfen, ob im Unternehmen die entsprechenden Sprachkenntnisse vorhanden sind oder aufgrund des Umfangs der Geschäftstätigkeit in einem bestimmten Land sein müssten (AG Berlin-Mitte, 8. 3. 2017 – 15 C 364/16, IPRax 2018, 408). Zum einen ist dem Empfänger der Rückgriff auf alle internen Quellen zumutbar, zum anderen werden Änderungen in der Organstellung rein innergesellschaftlich vollzogen und sind für den Absender nicht erkennbar. (z.B. AG Erding, 5. 12. 2013 – 4 C 1702/13, BeckRS 2014, 16268)

b) „verstehen“

  • Das Niveau der Sprachkenntnisse muss den Empfänger in die Lage versetzen, amtliche Dokumente und die verwendete Justizsprache zu verstehen. (LG Frankfurt a. M., 3. 4. 2014 – 2-03 O 95/13, BeckRS 2014, 16716)
  • Es ist nicht Sache des Empfängers, darüber zu entscheiden, ob er eine bestimmte Sprache versteht oder nicht, da sonst der Empfänger über die Wirksamkeit der Zustellung entscheiden könnte.
  • Die Unterzeichnung einer Klausel, die den Gebrauch einer bestimmten Sprache im Schriftverkehr und bei der Durchführung eines Vertrags vorsieht, kann keine Vermutung für Kenntnisse in der vereinbarten Sprache begründen (sondern lediglich einen Anhaltspunkt darstellen, insbesondere dann, wenn die Klausel sich auch auf den Verkehr mit Behörden und öffentlichen Institutionen bezieht).
  • Weitere mögliche Anhaltspunkte können sein:
    • Der Empfänger des Schriftstücks hat tatsächlich in der Sprache des zugestellten Schriftstücks korrespondiert. Unerheblich ist hierbei, ob er selbst Schreiben in dieser Sprache verfasst hat oder sich durch einen Sprachkundigen hat helfen lassen, solange er die Schreiben selbst unterschreibt. (LG Bonn, 30. 11. 2010 – 10 O 502/09, BeckRS 2011, 21269)
    • Der ursprüngliche Vertrag enthält Klauseln, mit denen die Gerichte des Übermittlungsstaats für Rechtsstreitigkeiten für zuständig erklärt werden oder der Vertrag dem Recht dieses Mitgliedstaats unterworfen wird.
    • Der Empfänger des Schreibens hat selbst dem Gericht in deutscher Sprache geantwortet und dabei durch Inhalt, Form und Ausdrucksweise seiner Antwort gezeigt, dass er es versteht, sein Anliegen in deutscher Sprache erklärlich zu machen. (LG Düsseldorf, 12. 1. 2010 – 4b O 286/08, BeckRS 2011, 03329)
    • Der Empfänger hat ein vorgerichtliches Schreiben des Antragstellers in deutscher Sprache beantwortet. (AG Berlin-Mitte, 8. 3. 2017 – 15 C 364/16, IPRax 2018, 408)
    • Der Empfänger unterhält einen Internetauftritt in deutscher Sprache und mit einer .de-Adresse. (AG Berlin-Mitte, 8. 3. 2017 – 15 C 364/16, IPRax 2018, 408)
    • Der Empfänger muss aufgrund des Umfangs seiner Geschäftstätigkeit in einem bestimmten Land (z.B.: mehr als 20 Millionen Kunden in Deutschland) rechtlich bewanderte Mitarbeiter haben, die eine bestimmte Sprache sprechen. (AG Berlin-Mitte, 8. 3. 2017 – 15 C 364/16, IPRax 2018, 408)

 

 

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