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Als ungarischer Arbeitnehmer in Deutschland – findet ungarisches oder deutsches Arbeitsrecht auf die in Deutschland beschäftigten ungarischen Arbeitnehmer Anwendung? Worauf sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber in dieser Situation achten?

22. Sep. 2021

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Als ungarischer Arbeitnehmer in Deutschland – findet ungarisches oder deutsches Arbeitsrecht auf die in Deutschland beschäftigten ungarischen Arbeitnehmer Anwendung? Worauf sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber in dieser Situation achten?

22. Sep 2021 News

Vielfalt der anzuwendenden Rechtsvorschriften

 

Die Antwort auf die im Titel auftauchenden Fragen lässt sich in einem kurzen Satz nicht zusammenfassen. Das chaotische System des ungarischen, deutschen und europäischen Arbeitsrechts erzeugt eine dreistufige arbeitsrechtliche Ordnung, wenn ein Arbeitnehmer mit ungarischer Staatsbürgerschaft Deutschland als Beschäftigungsort wählt. In diesem Artikel versuchen wir den rechtsuchenden Lesern eine Orientierung in dem Paragraphendschungel durch die Auslegung der Rechtslage zu bieten, deren ausführliche Analyse nachstehend folgt:

 

 

Die anzuwendenden deutschen Rechtsvorschriften

 

Zunächst möchten wir den Leser darauf aufmerksam machen, dass unter „deutschen Rechtsvorschriften“ nicht das deutsche Arbeitsgesetzbuch verstanden wird, weil sowas in Deutschland nicht existiert. Aus historischen Gründen ist das deutsche arbeitsrechtliche Regime fragmentiert, also der maßgebliche Teil des Normensystems wurde nicht in einem einheitlichen Kodex niedergeschrieben, wie es im ungarischen Arbeitsgesetzbuch aufscheint. Die Basis der deutschen Regelung bilden verschiedene deutsche arbeitsrechtliche Gesetze bzw. das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch.

 

 

Warum muss man die deutschen zwingenden Rechtsvorschriften unbedingt einhalten, obwohl im Arbeitsvertrag die Anwendung des ungarischen Rechtes bestimmt wurde?

 

In dem Fall, dass ein ungarischer Staatsbürger seine Arbeit in Deutschland verrichtet, müssen die zwingenden Regeln des deutschen Arbeitsrechts neben dem anzuwendenden ungarischen Gesetz auch eingehalten werden, weil der Arbeitnehmer des in Ungarn eingetragenen Arbeitgebers seine dienstliche Tätigkeit in Deutschland ausüben wird. Es bedeutet, dass bestimmte deutsche Normen auch dann zur Anwendung kommen, wenn die Parteien dies im Vertrag anders geregelt haben.

 

Mit Hinblick auf die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, d.h., auf den Inhalt von Art. 8. Abs. 1. und 2. Rom I., ist eine Abweichung von den unabdingbaren Normen des Rechts des Arbeitsortes (Deutschland) unzulässig. Außerdem legt dieser Artikel auch den Vorrang des innerdeutschen Arbeitsrechtes, als Abbildung des Grundsatzes „lex loci laboris“ fest, mit Hinblick darauf, dass in dem Fall, in dem die Parteien das auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende Recht nicht gewählt haben, für den Vertrag das Recht des Landes maßgebend ist, wo der Arbeitnehmer regelmäßig seine Arbeit verrichtet. (Im Einklang mit § 3 Abs. 2 ungArbGB, welches nur dann anwendbar wäre, wenn eine Rechtswahl fehlt und der Arbeitsort Ungarn ist).

 

 

Kann sich der Arbeitgeber ausdrücklich die Anwendung des ungarischen Arbeitsrechtes im Vertrag unter Ausschluss des deutschen Arbeitsrechtes vorbehalten, um die günstigere deutsche unabdingbare Regelung zu umgehen?

 

In diesem Themenbereich ist zunächst festzustellen, dass die Parteien im Arbeitsvertrag die Anwendung des deutschen oder ungarischen Arbeitsrechts gültig feststellen können, aber das Interesse des Arbeitnehmers, also die zwingend geltenden arbeitsrechtlichen Normen im Land des Arbeitsortes, in dem Fall in Deutschland, dadurch nicht beeinträchtigt werden dürfen. Was bedeutet das genau in der Praxis? Insofern die Parteien ausdrücklich die Anwendung des ungarischen Rechtes vorbehalten, ermöglicht Art. 8 Rom I. VO keine Abweichung von den verpflichtenden deutschen Normen. Der Grund dafür liegt in der Erzwingung der für Arbeitnehmer gebührenden gesetzlichen Garantien durch den Gesetzgeber selbst. In dem Fall, dass mit Hinblick auf eine gegebene Einzelheit die ungarische und deutsche Gesetzte beide verpflichtend anwendbare Regeln enthalten, geht die Vorgabe mit höherem Schutzbedürfnis vor. Bezüglich des gegebenen Vertrages ist somit der ausdrückliche Vorbehalt des ungarischen Arbeitsrechtes dergestalt möglich, dass die deutschen Regeln wegen ihrem verpflichtenden Charakter trotzdem Anwendung finden.

 

 

In welchem Land kann der Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber klagen?

 

Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 bezeichnet spezielle Foren zur Klageerhebung, wenn aus Sicht des Arbeitnehmers der Arbeitgeber gegen die auf den Arbeitnehmer anwendbaren Rechtsvorschriften verstoßen hat. Wir verweisen jetzt auf die Artikel 20-23 dieser Verordnung, die die für die Arbeitnehmer geltenden, das vorteilhafte Klageerhebungsforum sichernden, Regeln zusammenfassen: Sie enthalten sogenannte asymmetrische rechtshoheitliche Regeln, also diejenige, die beschreiben, welche für ihn günstigen Normen der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber klagen kann. In der ungarisch-deutscher Relation bedeutet dies: Im Fall eines potentiell auftauchenden Rechtsstreites kann der Arbeitnehmer nach seiner Wahl sowohl in Deutschland als auch in Ungarn Klage erheben. Unabhängig davon, aus welchem Land er kommt bzw. in welchem Land er sich gerade zwecks legalem Erwerbstätigkeit aufhält. Diese Freiheit des „Forum-Shopping“ kann im Arbeitsvertrag nicht gültig ausgeschlossen werden.

 

 

Zusammenfassung

 

Wie wir schon in der Einleitung darauf hingewiesen haben, ist die Frage auf drei Ebenen geregelt, weswegen man sich über das ungarische, deutsche und europäische arbeitsrechtlich bezogene Normensystem im Klaren sein muss. Mit Hinblick auf dieses überdifferenzierte Regime empfehlen wir die Konsultation mit Anwälten sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite. Dadurch kann die Situation rasch, ohne hohen Kostenaufwand gelöst werden, mit Bezug darauf, dass eine potenzielle arbeitsrechtliche Streitigkeit durch einen entsprechend zusammengestellten Arbeitsvertrag vermieden werden kann. Es ist also ersichtlich, dass auf beiden Seiten ein geregeltes arbeitsrechtliches Verhältnis zwischen den Parteien erwünscht ist. Zu deren Erstellung bzw. gegebenenfalls, zur Streitbeilegung, wenden Sie mit Vertrauen an uns.

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