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Grundbesitzer in Ungarn, die Parteien von „Taschenverträgen“ sind, fürchten bis zu fünf Jahre Haft und Enteignung. Gibt es eine Lösung?

7. Nov 2017 News

Bis Ende April 2014 war es in Ungarn auch EU-Ausländern – dank einer vorübergehenden Ausnahmeregelung der EU – grundsätzlich nicht gestattet, Ackerland zu erwerben. Aus diesem Grunde haben ausländische Käufer – meistens aus Österreich – oft sog. „Taschenverträge“ mit den ungarischen Verkäufern abgeschlossen. Die Parteien haben in den meisten Fällen einen Kaufvertrag ohne Datum abgeschlossen und diesen bei einem Anwalt ihres Vertrauens hinterlegt mit der Hoffnung, dass dieser nach dem Ende des Boden-Moratoriums die Eintragung des neuen Eigentümers im Grundbuch veranlasst. Gleichzeitig hat man in der Vergangenheit zur rechtlichen Absicherung in der Regel auch Nießbrauchs- bzw. Nutzungsrechte vereinbart, die entweder lebenslang oder 20 Jahre lang gelten sollten sowie eine (oft fiktive) Hypothek auf dem Ackerland zu Gunsten des Ausländers eingetragen.

Das neue Bodengesetz, welches am 1. Mai 2014 in Kraft trat, soll – auch nach den Erwägungsgründen des Gesetztes – nunmehr EU-Ausländern eine Inländerbehandlung gewährleisten, so dass alle EU-Bürger die gleichen Rechte, wie die ungarischen Staatsangehörigen, genießen können. Dies erfolgte jedoch nur teilweise, da die Regierung in Budapest – insbesondere mit einem Sondergesetz über „einige zusammenhängende Regelungen und vorübergehende Regeln“ bezüglich des neuen Bodengesetzes (Umgangsgesetz) – nicht nur eine faktische Diskriminierung der EU-Bürger erschöpft hat, sondern gleichzeitig den Krieg gegen die Parteien früherer Verträge (und ihre Verfasser, d.h. meistens Anwälte und Notare) angekündigt hat, die ab 2014 nicht nur eine Enteignung ohne Entschädigung, sondern auch eine Gefängnisstrafe bis fünf Jahren befürchten können.

Sollte man also Interesse an einem Ackerland in Ungarn gehabt haben bzw. haben, sind folgende Risiken zu beachten:

1. Entschädigungslose Verstaatlichung

Ein in 2014 erlassenes Gesetz über die „Offenlegung und Verhinderung“ der Umgehung des Bodengesetztes sieht allen Behörden des Staates vor, von Amts wegen die Staatsanwaltschaft zu informieren, falls ein Verdacht für eine mögliche Umgehung des (früheren) Bodengesetztes vorliegt. Auch die früheren ungarischen Besitzer können aber die Staatsanwaltschaft informieren, eventuell auch dann, wenn sie mit der aktuellen Lage nicht zufrieden sind oder – aus welchen Gründen auch immer – dem ausländischen Besitzer Schaden antun wollen.

In beiden Fällen hat aber die Staatsanwaltschaft eine Klage einzureichen mit dem Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Rechtsgeschäfte sowie auf eine entschädigungslose Übertragung sämtlicher betroffenen Grundstücke an den Staat.

2. Frühere vertragliche Regelungen per Gesetz annulliert und Gerichtsweg für die Ausländer per Gesetz ausgeschlossen

Unter den Schlussbestimmungen des sog. Umgangsgesetzes findet man eine versteckte Klausel, die alle früheren vertraglichen Bestimmungen, die ungarisches Ackerland betreffen und von der Beendigung des Boden-Moratoriums als Bedingungen abhängig sind – selbst wenn sie nicht unwirksam sind – als „nicht durchsetzbar“ erklärt. Haben die Parteien ein späteres Inkrafttreten vorgesehen, so geschieht dies laut Gesetz nie. Gleiches gilt auch für die vertraglichen Sicherheiten (wie etwa Hypothek, Nießbrauch- oder Nutzungsrecht), die auf Antrag der Staatsanwaltschaft ebenfalls zu löschen sind.

Man könnte hoffen, dass man nach der erwähnten Enteignung bzw. nach einer Rückabwicklung wenigstens den bereits an den ungarischen Veräußerer bezahlten Kaufpreis zurückbekommt. Die ungarische Gesetzgebung sorgte aber auch für die Auflösung solcher Hoffnungen: Das neue Umgangsgesetz schließt den Gerichtsweg für die Rückforderung der bereits erbrachten Forderungen ebenfalls aus. Demzufolge verliert man nicht nur seine Grundstücke, die ohne Entschädigung an den Staat fallen, sondern auch die frühere Investitionen.

3. 5 Jahre Haftstrafe für Taschenverträge

Neben der oben ausgeführten fachlichen Entrechtung mit rückwirkender Wirkung sorgt aber die Gesetzgebung in Budapest auch dafür, dass auch keine künftigen „Umgehungen“ des nunmehr angeblich EU-konformen Gesetzes möglich sein können. Nämlich alle Betroffenen in einer „Umgehung“ – auch vertragsfassende Rechtsanwälte und Notare – sollen mit einer Freiheitstrafe bis zu 5 Jahre rechnen. Hätte also ein betroffener Geschädigter die Absicht, das Gesetz zu ignorieren und auf erfolgreiche Rechtsmittel (siehe unten) – auf National- oder Gemeinschaftsebene – zu hoffen, so wird seine Lage durch die Drohung mit einer möglichen Gefängnisstrafe im erheblichen Maße erschwert.

4. Faktische Diskriminierung der EU-Bürger

Selbst wenn man damit argumentieren würde, dass die früheren „Spekulanten“ ihre Entrechtung verdient haben, verlang das heutige Gemeinschaftsrecht eine bedingungslose Inländerbehandlung aller Gemeinschaftsbürger ab dem 1 Mai 2014 auch von Ungarn. Auf dem ersten Blick könnte man annehmen, dass das neue Bodengesetz mit seinem Grundsatz, laut dem nur „Landwirte“ nunmehr Land erwerben dürfen, dank seiner Neutralität diesem Erfordernis entspricht, da unter „Landwirte“ sowohl ungarische als auch andere Gemeinschaftsbürger zu verstehen sind. Untersucht man aber die Definition eines „Landwirtes“ näher, so muss man feststellen, dass entweder eine ungarische landwirtschaftliche Fachausbildung oder ein bereits seit 3 Jahren in Ungarn ausgeübter landwirtschaftlicher Betrieb dafür erforderlich ist. Die Fachausbildung kann jedoch auch in einem anderen Mitgliedstaat erworben werden; ob diese jedoch mit der erforderlichen ungarischen Ausbildung gleichwertig ist, entscheidet wiederum das zuständige ungarische Amt nach bisher unbekannten Kriterien. Und auch wenn man seit mehreren Jahren innerhalb der EU tatsächlich als Landwirt tätig ist, gibt es keine Ausnahmen von der Regelung, dass diese Tätigkeit nur in Ungarn ausgeübt werden konnte.

Und welche sind die rechtlichen Möglichkeiten als Grundbesitzer bzw. Interessent?

 a) Annullierung durch das Verfassungsgericht wegen Grundrechtsverletzung

Artikel XIII. Abst. (2) des ung. Grundgesetzes sieht – wie die meisten Verfassungen Europas – vor, dass eine Enteignung nur in Ausnahmefällen und im öffentlichen Interesse, in gesetzlich festgelegten Fällen und Formen, bei vollständiger, unbedingter und sofortiger Entschädigung möglich ist. Dies ist offenkundig nicht der Fall bei entschädigungslosen Verstaatlichungen.

Ferner sieht das ungarische Gesetzgebungsverfahrensgesetz vor, dass spätere rechtliche Vorschriften frühere Rechtsgeschäfte bzw. Rechtsbeziehungen nicht als rechtswidrig erklären dürfen bzw. keine früher entstandenen Rechte ausschließen oder beschränken dürfen.  Dies passiert aber offensichtlich bei dem willkürlichen Ausschluss des Gerichtsweges sowie bei Annullierung früherer vertraglicher Rechte.

Ähnlich wie in Deutschland besteht aber auch in Ungarn die Möglichkeit, wegen Grundrechtsverletzung Verfassungsbeschwerde einzureichen sowie die Feststellungsmöglichkeit der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes im Rahmen einer verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle durch das Verfassungsgericht. Eine Normenkontrolle kann auch der Richter eines Rechtsstreites von Amts wegen oder auf Antrag einer Streitpartie durch einen Beschluss anordnen und damit die Sache direkt an das Verfassungsgericht übergeben. Ferner kann sich auch eine Streitpartei, die sich durch eine gerichtliche Entscheidung nach Ausschöpfung aller ordentlichen Rechtmittel verletzt fühlt, binnen 60 Tagen nach Erhalt der Begründung der Entscheidung des Gericht letzter Instanz direkt an das Verfassungsgericht wenden im Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens.

In den vorliegenden Fällen bestehen relative gute Chance für die Zulässigkeit und Begründetheit solcher Ansprüche.

b) Annullierung durch den Europäischen Gerichtshof

Egal, welche Kreuzzüge die ungarische Regierung gegen „Spekulanten“ angekündigt hat, müssen sämtliche ungarische Gesetzte die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts erfüllen. Denn diese haben im Falle eines Widerspruches einen klaren Vorrang vor den nationalen Rechtsnormen, sodass sogar die Justiz des Mitgliedstaates das nationale Recht ignorieren kann und soll.

Zwar erlaubt das Gemeinschaftsrecht gewisse Beschränkungen der Freizügigkeit der Gemeinschaftsbürger, diese können jedoch nicht willkürliche und diskriminierende Kriterien enthalten. Sollte also ein Betroffener behaupten, dass seine Freizügigkeit durch faktische Diskriminierung von dem ungarischen Staat beschränkt wurde, ergibt sich die Möglichkeit, sich an den Europäischen Gerichtshof zu wenden. Gem. § 155/A. ung. ZPO kann das ungarische Gericht sowohl von Amts wegen als auch auf begründeten Antrag der Parteien ein Vorabentscheidungsverfahren des EuGH initiieren. In diesem Falle wird das Prozedere vor dem ungarischen Gericht ausgesetzt, bis der EuGH seine Entscheidung fällt. Erforderlich für ein Vorabentscheidungsverfahren ist jedoch immer ein bestehender Rechtstreit vor einem ungarischen Gericht. Diese Voraussetzung kann man aber auch dann erfüllen, wenn man nach einer schädlichen Entscheidung der ungarischen Behörden (in den vorliegenden Fällen des Grundbuchamtes) eine Verwaltungsklage gegen die Entscheidung einreicht, damit es im späteren gerichtlichen Verwaltungsklageverfahren ein Richter über eine mögliche Vorabentscheidung des EuGH die Entscheidung treffen kann.

In diesem Falle ist die Ausschöpfung aller nationalen Rechtsmittel auch kein Erfordernis, so dass man die Vorabentscheidung auch gleich während des erstinstanzlichen Verfahrens beantragen kann. Auf diese Weise kann man auch erreichen, dass ein von der ungarischen Regierung völlig unabhängigen und auch geografisch distanzierten Organ schließlich die Entscheidung fällt.

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